Halte mich an meinem ersten Café fest und lese über Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina, der einzigen Landschaft Europas, die nach einem Baum benannt ist: Buchenland.
In Czernowitz, die ehemals habsburgische Stadt in der hügeligen Landschaft an der Pruth mit seiner wunderschönen Altstadt, das heute in der West-Ukraine liegt, sprach man einst Deutsch, Jiddisch, Rumänisch, Ukrainisch, Polnisch.
Zum neunzigsten Geburtstag des großartigen Paul Celan 2010, der sich hier noch Paul Anschel nannte, veranstaltete seine Geburtsstadt erstmals ein Poesiefestival, das Lyrikfestival Meridian Czernowitz, und hat Dichter aus halb Europa dorthin eingeladen. In dieser Stadt, ” wo zwischen 1880 und 1940 eine der unerhörtesten Explosionen von Kreativität stattfand, die es in Europas Kultur je gegeben hat”, mit damals achtzigtausend Einwohnern trafen Katholiken auf Chassiden auf humanistische Universitäten und lebten so viele Geistesgrößen Tür an Tür, das man nur Staunen kann.
Musiker, wie der lyrische Tenor Joseph Schmidt, der als Kantor in der Synagoge gesungen hatte. Er starb 1942 mit achtunddreißig Jahren in einem Schweizer Auffanglager oder der Biochemiker und Essayist Erwin Chargaff, der die DNA mit entdeckte, und mit siebenundneunzig Jahren 2002 in New York starb.
Hier, wo um 1900 die relative Bevölkerungsmehrheit aus Juden bestand, lernten und schrieben, lehrten und veröffentlichten gleichzeitig einige der besten jiddischen Autoren: Elieser Steinbarg, Itzig Manger, “Prinz der jiddidchen Ballade” und Josef Burg, der als letzter seiner Zeit hier 2009 starb.
Deutschsprachige Schriftsteller wie Gregor von Rezzori, der Autor der „Maghrebinischen Geschichten“, und natürlich die 1901 geborene Rose Ausländer. Sie lernte Celan 1941 im Czernowitzer Ghetto kennen.
Immer wieder ist sie aus Czernowitz geflohen, immer wieder zurückgekehrt: „Eine goldene Kette“, heißt es im Gedicht „Heimatstadt“, „fesselt mich / an meine urliebe Stadt / wo die Sonne aufgeht / wo sie untergegangen ist / für mich“.
Rumänischsprachige, wie der Nationaldichter Mihail Eminescu lebte ebenso in der habsburgischen Hauptstadt der Bukowina wie mehrere poetische Ikonen der heutigen Ukraine: Olga Kobylanska oder Dmytro Zahul, der in Stalins Gulag umkam.
Eine Stunde später, die Cafétasse ist leer, der Kopf gefüllt mit neuen Namen, lang vergessenen Gedichten und Geschichten… so sollten alle Morgen beginnen.
Der nächste Festivaltermin ist übrigens vom 9. bis 11.September 2016