„Von der höchsten Stufe des Lebens hinabgeschleudert zu werden in ein Nichts – das ist ein verlorenes Leben; das ertrage ich nicht.“ Ludwig der II, König von Bayern
Aber wer kennt schon Bernhardt von Gudden, den Mann, behandelnder Psychiater des zweiten Wittelsbacher Prinzen, Otto, der mit seinem, auf Wunsch der bayrischen Regierung erstellten, Gutachten via Ferndiagnose, den exzentrischen Ludwig zum Paranoiker abstempelte und zusammen mit ihm in den politischen und hydrologischen Fluten unterging?
Mit seiner romanhaft-biographischen Erzählung will Michael Seitz dies ändern.
Seitz zeichnet das Bild eines karrierebewussten Aufsteigers, Sohn eines Guts- und Brauereibesitzers aus Kleve, der seine revolutionären Anwandlungen während seiner Studentenzeit rechtzeitig hinter sich lässt, eine vorbildhaft akademische Karriere durchläuft, die Position des Direktors der Oberbayrischen Irrenanstalt in München erreicht und schließlich 1875 von Ludwig höchst selbst in den persönlichen Adelsstand erhoben wird.
Ambitioniert wird er zum Kämpfer für einen gewaltfreien Umgang mit den Patienten, für eine menschenwürdige Behandlung der „Narren“. Therapie statt Folter mit Elektroschocks und Eiswannenbädern lautet seine Maxime.
Neben den Verstrickungen des Titelhelden von Gudden in den Tod des Märchenkönigs hat der Autor das hehre Ziel einem Abriss der Psychiatriegeschichte des 19. Jh., mit so illustren Kranken wie den Wittelsbacher Brüdern, ihrer nicht minder besessenen Cousine Elisabeth, und anderen Mitgliedern des europäischen Hochadels, den politischen Verstrickungen zwischen den freiheitsbewussten Bayern und den patriarchalen Preußen, den Freiheitsbestrebungen der Studenten im Vormärz und ganz profanen persönlichen Animositäten buhlender Männer miteinander zu verflechten. Dies gelingt meiner Meinung nach nur bedingt.
Für mich krankt das Werk etwas an dem Symptom vieler Erstlinge von Autoren, die im Selbstverlag publizieren:“zu viel auf einmal erzählen gewollt“. Wäre ein wohlwollender, aber kritischer Lektor eines konventionellen Verlags mit dem Rotstift durch das Manuskript gezogen, hätte er dies sicherlich durch Streichen verhindert. Nicht weil die einzelnen Informationen es nicht wert sind erzählt zu werden, sondern, weil sie sich gegenseitig den Raum stehlen.
Hinzu kommt der halbdokumentarische Stil; dieses literarische Zwitterwesen, das es dem Autor nur vermeintlich einfacher macht. Denn dadurch fragt sich der Leser häufiger was ist Fiktion, was Faktum? Der Schreiber hingegen sollte sich fragen: Wie viel Abstand halte ich zu meinen Personen? Werde ich vielleicht unfreiwillig zu einer weiteren Erzählerstimme und erzeuge eine Kakophonie? Wie überhaupt löst man das ganze sprachlich, damit es nicht zu kantig wird, den Lesefluss unterbricht? Oft nur tut er dies nicht.
Trotz meiner Kritik ein interessanter Einblick in das Leben und Wirken einer Persönlichkeit, die es nicht verdient hat nur als „der Irrenarzt, der mit dem König unterging“ in die Geschichte eingegangen zu sein.
Der Psychiater des Königs, Bernhard von Gudden und seine Zeit, Michael Seitz, ISBN 9781536821178, Amazon Fullfillment
Vielen Dank dem Autor für die Überlassung des Rezensionsexemplars.