Welch ein wundervoll praller historischer Roman, der den Leser so richtig tief ins Pfeffersack beherrschte Hamburg des 19. Jh.s eintauchen lässt. So tief, so kenntnisreich, so stimmungsvoll beschrieben, dass man nach dem Zuschlagen der letzten Seite erst einmal verwundert die Augen reibt, dass man sich im Hier und Jetzt befindet.
Ulrike Renk hat mit ihrer Familiensaga „Die Australierin“ , um die Lebensgeschichte Emilia Bregartner, der Tochter aus gutem Hause, in Hamburg bedeutete das die per Geburt erlangte Mitgliedschaft im Club des lutherischen Geldadels, erworben durch Handel und Hafen, nicht nur eine Hommage einer ungewöhnlich starken Frau, sondern auch ein kenntnisreiches Portrait der freien Hansestadt Hamburg und ihrer Bewohner in der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts gezeichnet.
Emilia erlebt als 8 jährige Tochter, des Werftbesitzers Martin Bregartner den verheerenden, großen, drei Tage währenden, Brand Hamburgs im Jahre 1842 aus der Ferne, dem vor der Stadtgrenze liegenden Gut ihrer Familie in Othmarschen mit. Dort lebt sie zwar das Leben eines kleinen Mädchen der Hamburger Oberschicht mit Personal und Spitzenkleidchen, aber das Personal ist Teil der Familie und vor allem zu Inken, der Dienstmagd, hat sie eine sehr innige Beziehung, und das Dorfleben führt zu einer gewissen Erdung.
Während die Männer an diesem schrecklichen Tag in Hamburgs Geschichte in der Stadt alles tun, um das Schlimmste zu verhindern, liegt ihre Mutter Anna, nach mehreren vorangegangenen Totgeburten, seit Stunden in den Wehen, und die kleine, verängstigte Emilia wird trotz Ascheregens mit der benachbarten Lotsenfamilie Jörgensen, eine Art Ersatzfamilie, mit deren Töchtern sie spielt, in die Kirche geschickt.
Unter den über 30.000 Obdachlosen, die der Brand hervorgebracht hat, befindet sich auch der ältere Bruder und Geschäftspartner ihres Vaters, Hinrich, und seine Frau Wilhelmina, so dass beide Aufnahme im ehemaligen Elternhaus finden, was zu weitreichenden Veränderungen des einst beschaulichen Lebens auf dem Land führt. Die an einen mondänen Lebensstil gewöhnte Wilhelmina reißt die Führung des Hauses an sich, da Anna, geschwächt nach der Geburt ihres Sohnes Julius, dazu erst einmal für Monate nicht in der Lage ist.
Zwei Jahre später, das neu erbaute Haus von Onkel und Tante an der kleine Alster ist gerade fertig gestellt, gehen Emilias Eltern mit dem kleinen Bruder nach London. Emilia muss trotz tränenreicher Bitten in Hamburg bleiben. Der Kontakt zwischen Eltern und Kind reduziert sich mit den Jahren auf einen bloßen Informationsaustausch.
Bei ihren ehrgeizigen und äußerst geschäftstüchtigen Onkel und Tante wächst sie zu einer jungen, gebildeten Frau heran, die auf Diner, Souper und Bällen ihren Marktwert zur Schau trägt, um möglichst gewinnbringend zum Wohle des Unternehmens an einen der jungen Erben gebracht zu werden. Emilia verliebt sich aber unter ihren Stand in den jungen Kapitän Carl Gotthold Lessing, der in der Reederei ihres Onkels ein Segelschiff, finanziert mit der Hilfe verschiedener Brüder, in Auftrag gibt. Gegen den Willen ihrer Familie schaffen die zwei Tatsachen, heiraten und gehen an Bord der frisch vom Stapel gelaufenen „Lessing“, um auf ihr gen Peru zu segeln, wo auch Lilly, ihre erste Tochter, das erste von acht Kindern, zur Welt kommt.
Schon auf der Rückfahrt, Emilia ist erneut schwanger, erreicht sie die Nachricht ihres 16 jährigen Bruders über den Tod des Vaters und die darauf folgende Rückkehr von Mutter und Bruder, dem Erben des Vaters. Er lädt sie ein in ihr geliebtes Elternhaus nach Othmarschen. So beschließen die jungen Eltern, dass Lilly und Emilia in Hamburg bleiben, und Emilia dort auch niederkommen wird, während Carl sich gen Australien aufmachen wird, um vor Ort zu prüfen, ob dieses Land ihnen eine mögliche zukünftige Heimat sein könnte.
Nach zwei Jahren folgt Emilia mit ihren Töchtern ihrem Mann und siedelt sich mit ihrer immer größer werdenden Familie in einem Vorort von Sydney an. Carl und Emilia segeln in Begleitung ihrer Kindern zwischen Südafrika, China und Australien, so dass er auch nach Einschulung der Ältesten nur Monate und nicht Jahre von der Familie getrennt ist.
Die Kinder werden älter und das Schicksal scheint sich zu wiederholen, als die Zweitälteste, Minnie, sich in einen Mann, Rudolph, verliebt, der vor allem Carl als nicht geeignet erscheint. Doch Emilia erinnert ihn an ihre eigenen Anfänge ohne jede familiäre Unterstützung, so dass Carl einer Ehe zustimmt, wenn er seine Skepsis auch nie ganz ablegt und den jungen Mann dies spüren lässt. Minnie wird Mutter von vier Kindern innerhalb von acht Ehejahren, der gemeinsame Traum von einer Farm mit Weinherstellung scheitert, die Farm muss verkauft werden, und ihr Mann einen Job als reisender Immobilienhändler annehmen. Die Familie lebt nun in der Stadt, in einer billigen, schäbigen und feuchten Wohnung. Minnie, geschwächt, wird krank und zieht mit den Kindern zurück zu ihren Eltern, wo sie kurz nach der Geburt des vierten Kindes an den Folgen der Krankheit verstirbt. Rudolph ist untröstlich, gibt sich die Schuld, und es ist Carl, der ihn tröstet.
Die Kinder bleiben bei den Großeltern, während Rudolph arbeitet, bis zu dem Tag als er beschließt seine älteste Tochter Carola, die ihrer Großmutter sehr nah steht, und ihrer Mutter sehr ähnelt, zu seiner kinderlosen, wohlhabenden Schwester zu geben, die dafür seine Schulden tilgt. Weder Carolas herzzerreißender Protest, noch die Einwände der Großeltern können ihn umstimmen. Selbst am Tag des Abschieds, Carl wird sie höchst selbst nach Hamburg segeln, ist ihr Vater nicht da. Carola wächst bei ihrer Tante und ihrem Ehemann, einem Sohn der Hamburger Kaufmannsfamilie Amsinck auf, der Emilia einst den Hof machte, doch im Gegensatz zu Emilia verbindet sie mit ihrer Großmutter ein inniger Briefwechsel. Emilia ist es auch, an die sich wendet, als sie sich verliebt, und Tante und Onkel mit ihrer Wahl nicht einverstanden sind, die ihr rät sich zu prüfen und dann ihrem Herz zu folgen.
Renk legt mit „Die Australierin“ nicht nur einen spannenden und emotional ergreifenden Plot mit gut gezeichneten Figuren, von der Heldin bis zum Schiffsjungen an Bord, vor, sondern versteht es auch sehr gekonnt dies sprachlich umzusetzen. Sie hat ihren Figuren wahrlich „aufs Maul“ geschaut, was sicherlich Anteil daran hat, dass diese so ungewöhnlich lebendig wirken. Kenntnisreich berichtet sie über die Hochseefahrt, benutzt die Sprache der Seeleute, aber nicht zur auktorialen Selbsterhöhung, um zu zeigen, dass sie recherchieren kann. Sie weiß um den Balanceakt den Leser in die für ihn fremde Zeit zu entführen, ohne ihn oder aber die Zeit zu verraten. Das ist wahrlich nicht die Regel in diesem Genre.
Für mich ein absolut lesenswerter historischer Roman.
Renk, Ulrike
Die Australierin
Aufbau Verlag, Berlin
ISBN 9783746630021
Ich danke dem Aufbau Verlag für das Rezensionsexemplar.