Wenn die Herren Werner Schulze-Erdel und Niklas Luhmann & die Hamburger Wunderband Tocotronic gemeinsam bemüht werden, um das Mysterium der Liebe zu klären, ich bin mir sicher, dann liegt die Welt in Trümmern.
Und genau so ist es in Kathrin Hövekamps neuem Roman „Scherbengold„.
Caro hat Jakob verlassen, wie so oft bei Trennungen, für eine der zwei Parteien, gefühlt von jetzt auf gleich. Jakob, der eloquente Ich-Erzähler, 30, kommt von einem Treffen mit Andy, seinem besten Freund seit Grundschultagen, zurück in die seltsam veränderte Wohnung und just in dem Moment, wo der Verstand die Lücken im Bücherregal, die freien Bügel im Kleiderschrank zu einem: „Sie ist weg!“ zusammensetzt, steht die Geflüchtete mit der obligatorischen, blauen Ikea Plastiktüte, dem Week-ender der Großstädterin, erschrocken vor dem zu früh Heimgekehrten, um die letzten Überbleibsel ihrer Anwesenheit in seinem Leben in Abwesenheit zu entfernen. Als Erklärung bietet sie ihm nur ein „Wir haben einfach nicht mehr funktioniert“ an und verschwindet mit der Bitte um zeitweilige Kontaktsperre.
Was bleibt da dem Zurückgewiesenen, vor den Kopfgestoßenen anderes übrig als sich selbst nach dem Warum zu befragen, nachdem er sich mit des männlichen Verlassenem bestem Freund, dem Alkohol, und Trash-Videos erst einmal über die ersten Stunden gebracht hat. Er erstellt eine Liste seiner Exen, akribisch veranlagt wie er ist, von der Grundschule bis zum D-Day. Schnell erkennt er sie alle eint eins: Sie haben ihn verlassen! Um der persönliche Beziehungshistorie Herr zu werden, verschanzt er sich die nächsten Tage mit einer Kiste faßbarer, papierener Zeugen seiner Vergangenheit, die jeder anständig gelebte Mensch über 30, noch irgendwo in den Tiefen eines Schrankes besitzt, in seiner Wohnung. Er versucht mit Hilfe der Photos sein Liebesleben, die Liebe selbst zu verstehen.
Da gab es alles, käufliche Frauen, die ihn für Diddel-Mause Sticker verließen, da gab es die vermeintlich Coole mit der Aufmerksamkeitsspanne von Eintagsfliegen, auch für den Mann an ihrer Seite, und da gab es jenes geheimnisvolle Panda Mädchen, die Frau mit der Maske.
Mit ihr hatte er sich mit 15 Jahren auf einer Faschingsfeier in der schwäbischen Provinz, seiner Heimat, zu später Stunde, als alle anderen der Mischung von altersgerechter Hormondominanz und dem gesellschaftlichem Verlangen nach Coolness geschuldetem übermäßigen Alkoholkonsum erlegen waren, und ihre Zungen zueinander legten, plötzlich auf einem Sofa wiedergefunden. Er, der stets zu schüchtern und verkopft war, um ein Mädchen auch nur anzusprechen, geschweige denn sich ihr auf mehr als ausgestreckter Armlänge zu nähern, ohne dass einer seiner Freunde ihm durch angewandte Physik die Richtung vorgab, saß neben einer ihm bis dahin völlig Unbekannten und die Worten sprudelten nur so aus ihm heraus. Über seinen Vater, der die Familie vor Jahren verlassen hat, und seit dem nur in Form von Geburtstagskarten vorbeischaut, von seiner Mutter, die sich regelmäßige für mehrere Tage in ihrem Zimmer verschanzt, die Bettdecke bis zum Kinn, unerreichbar für ihn, um dann wieder Roboter gleich, emotionslos, zu funktionieren. Sogar der, in der Familie mit einem Ausspracheverbot belegte Name seines am frühen Kindstod verstorbenen Bruders, Matthias, kommt ihm über die Lippen. Als sie diese dann auch noch küsst, einen Kuss, der von nun an für immer Maßstab sein wird, flieht er in Panik, bevor alle Dämme brechen.
Kurz danach lernt er die Freundin eines Freundes, die fabelhafte Hannah, kennen. Diese geistige Überfliegerin und Klassenüberspringerin, mit einer ausgeprägten Vorliebe für Grobstrick und Tüll, Philosophie und Meeresbiologie, wird schnell zu seiner besten Freundin. Sie teilen den selben ungewöhnlichen Humor, lieben es das richtige Zitat im falschesten Moment dem abwegigsten Urheber zuzuordnen, gehen über Jahre montags Kinofilme blind verkosten und tragen sich wie ein altes Ehepaar bäuchlings im Freibad Textauszüge aus ihrer aktuellen Lektüre vor.
Auch jetzt in der unmittelbaren Post-Caro Phase ist Hannah die intellektuelle Sparringspartnerin, wenn es darum geht, alle je gedachten Gedanken von den Denkern der Antike bis zu den geplapperter Platituden längst vergessener Vorabend-Moderatoren von Tele 5 zum Mysterium der Liebe zu interpretieren, zu diskutieren und dann doch als wenig hilfreich verwerfen.
Langsam kommt Jakob dann aber doch dem roten (Woll-)Faden hinter seiner sehr bizarren Beziehungsende-Serie näher, und was ihm dann noch fehlt, ist nur der Mut des nicht völlig Verzweifelten den Erkenntnissen auch Taten folgen zu lassen.
Scherbengold ist ein ausgesprochen charmanter und kurzweiliger Roman über das Leben und die Liebe, die beide ja gerne mal die Bitch geben, einem gut komponiertem Plot, ja, zuckersüß, mit buntem Zierrat und Happy-end, aber ohne jede Kariesgefahr, einem Ich-Erzähler und Helden, der exakt meiner Mr Right Backform entspricht und geschrieben von einer Autorin, deren pop-kulturelles Zitaten- Feuerwerk mir Flash-backs ganz ohne Photokiste bereitet hat.
Scherbengold, Kathrin Hövekamps, Independently published