Auch wenn das Klavierstück in a-Moll 59 WoO aus dem Jahr 1810 komponiert von Ludwig van Beethoven (get. 1770-1827) „Für Elise“ heißt und nicht von, kommt bei diesem Romantitel selbst dem größten Klassikbanausen zu Recht jene wohlbekannte Melodie in den Kopf.
Wem nicht, der nutze den Link der Musikdatei:
Der Titel „Für Elise“ geht auf eine verschollene Niederschrift Beethovens zurück. „Für Elise am 27. April zur Erinnerung L. v. Bthvn“ soll laut des Musikwissenschaftler Ludwig Nohl (1831-1885) auf dem Blatt gestanden haben, dass er 1865 bei einer Industrielehrerin in München fand und bis heute streiten seine Kollegen, wer wohl diese geheimnisvolle Elise gewesen sein mag.
In dem gelungenen Debut der Übersetzerin und Musikerin Verena Maria Kalmann ist es der Fund eines Tagebuchs mit der Überschrift „Von Elise“ aus dem Jahr 1914, der die Geheimnisse der Bonner Urgroßtante der Finderin über Jahrzehnte in einem Biedermeiersofa gut verwahrt hatte. Sie wollte so verhindern, dass nach ihrem Tod mit 87 Jahren ihre direkten Verwandten schmerzhafte Wahrheiten darin lesen mussten, hoffte aber darauf, dass spätere Nachfahren ihre beeindruckende Lebensgeschichte hören wollten.
Elise, eine ausgebildete Pianistin, hat diesem Buch seit sie es als junges Mädchen von ihrer zwei Jahre älteren Schwester Maria geschenkt bekommen hat, all ihre Geheimnisse anvertraut. Sie berichtet darin aus ihrem Leben und vor allem von ihrer großen, tragischen Liebe zu Karl Finkenberg, einem Konzertmeister und Violinisten, und ihrer gemeinsamen Liebe zur Musik Beethovens, die sie ihr Leben lang begleitet. Denn Karl, der sensible Schöngeist, stirbt wie so viele Andere, im Juni 1916 auf den Schlachtfeldern von Verdun, in einem Krieg, den er nicht wollte. Die Schilderung und Auslassungen seiner Kriegserlebnisse in den Briefen an Elise sind sicherlich mit die eindrucksvollsten Passagen des Romans.
Die Finderin des versteckten Nachlasses, die Mittdreißigerin Valerie Mollwitz, ist auch Musikerin. Eine Konzertgeigerin, die sich mit Mutterschaftsvertretungen und ähnlich kurzen Gastspielen von einem Zeitvertrag zum nächsten hangelt und den Traum von einem Festengagement schon fast aufgegeben hat, als sie nur wenige Tage vor Weihnachten 2013 ihren langjähriger Partner Adrian mit ihrer besten Freundin Carmen in flagranti in ihrer gemeinsamen Wohnung erwischt. Trotz Schocks ist sie Herrin ihrer Sinne genug den Untreuen vor die Tür zu setzen. Gerade als sie sich ihrem Elend hingeben will, erreicht sie eine telefonische Anfrage ein Pariser Orchester kurzfristig als stellvertretende, zweite Konzertmeisterin zu unterstützen. Sie hatte sich dort vor Monaten einem Wettbewerb um die begehrte Festanstellung gestellt , war aber zu ihrem Bedauern nur Zweite geworden. Die erste Wahl hat nun aber gekündigt und Valerie könnte ihre Position übernehmen, wenn sie und ihre Violine schon Anfang Januar in der französischen Kapitale bereitstünden. Ohne lang zu überlegen, snimmt sie das so verlockend klingende Angebot an. Sie sieht darin einen Wink des gerade so gemein zugeschlagenen Schicksals, ihre Chance auf einen Neuanfang, beruflich, aber auch privat.
Der stellt sich dann aber nicht als der erträumte, dornenlose Rosengarten heraus, nicht als die in den Schoss gefallene Rettung vor dem gescheiterten Leben in München, das Gegenteil ist der Fall.
Die ältliche, erste Konzertmeisterin, Madame Prokova, ihre direkte Vorgesetzte, ist eine wahre Meisterin des Mobbings, das international besetzte Orchester gespalten, ihr Schulfranzösisch so eingerostet, dass es kaum zum Ordern eines Café au lait reicht und die Grand Nation zu selbstverliebt für eine Fremdsprache, die Wohnung zur Zwischenmiete polarkalt, so dass ein fieser Angriff von Erkältungsviren in der Probezeit schon fast ihr letztes Stündlein einläutet…
Ein völliges Desaster, wenn da nicht Jan, ein Orchesterkollege, dessen Oboespiel sie vom ersten Zusammentreffen an in seinen Bann zieht und natürlich Elises Tagebuch wäre. Diese Ahnin, von der sie bis dato nicht viel wusste, die auch nicht auf Rosenblätter gebettet war und die, trotz vieler Stürze, immer wieder aufgestanden ist, wird Valerie nun fast 100 Jahre später von Seite zu Seite zum Rollenmodell. Auch sie beginnt zu kämpfen.
Kalmann hat ihren Stoff gut komponiert, abwechselnd lässt sie die zwei Frauen aus ihrem Leben erzählen, wobei der Leser immer wieder auf das verbindende Element der klassischen Musik als Passion und Profession trifft, deren Besonderheiten sie auch Laien sehr anschaulich näher bringt. Etwas schade hingegen fand ich den Gleichlaut der Erzählerinnenstimmen der beiden Frauen, die doch immerhin fast ein Jahrhundert trennt. Natürlich, berührend die Liebesgeschichte von Elise und Karl. Lieben wir nicht alle unvollendete Lieben, weil sie uns nicht mehr beweisen können, dass sie die Zeit nicht überlebt hätten?! Mir persönlich etwas zu sehr auf „Happy, happy ending“ gestrickt war die berufliche Entwicklung Valerie und ihre Beziehung zu Jan, aber so what, manchmal muss eben auch mal alles gut werden.
Ein gefühliger Liebesroman mit eigenem Soundtrack für kalte Wintertage.
Verena Maria Kalman. Von Elise. Tinte & Feder Verlag. erschienen 13.06.17. ISBN: 978-1542046190