Mein erster Roman 2019 ist ein Debut aus dem letzten Jahr & hätte nicht nur dem Held des Purismus, dem Erfinder des Bauhaus, Walter Gropius, an dessen Schule die Titelheldin studierte, schmerzvoll klagend die Tränen in die Augen getrieben, sondern hat auch mich nicht überzeugen können.
Wenn Martha tanzt von Tom Rappel enträtselt die Lebensgeschichte der Martha Wetzlaff, einziges Kind eines Unterhaltungskapellmeisters & seiner Frau in einem kleinen Örtchen an der pommerschen-polnischen Grenze. Aufgedeckt wird ihr ungewöhnlicher Lebensweg von ihrem Urenkel Thomas, der im Sommer 2000 nach dem plötzlichen Tod seiner Großmutter Hedi, bei der Durchsicht ihres Nachlasses eine schwarze Kladde auf Notenpapier ihrer Mutter, Martha, findet, in der sich neben Tagebuchaufzeichnungen & persönlichen Briefen, auch Skizzen bekannter Maler der klassischen Moderne wie z.B. Klee & Schlemmer, befinden.
Da Hedi in Bezug auf ihre Vergangenheit immer wenig mitteilsam war, verschlingt der angehende Deutschlehrer begierig die Informationen über auch seine eigene Vergangenheit & beginnt neugierig zu recherchieren. Er erfährt, dass alle sich verewigten Künstler sich zeitgleich in Weimar aufgehalten haben, wo gerade Walter Gropius das Bauhaus gegründet hat. Er spekuliert über Zusammenhänge & phantasiert über Verwandtschaftsverhältnisse & erfährt wie wertvoll das Zeitzeugnis aufgrund der Zeichnungen für Kunstsammler ist.
Ein Jahr später im September reist er nach New York, wo das Buch für die unglaubliche Summe von 45 Mio. Dollar bei Sotheby’s von einer anonymen Telefonbieterin ersteigert wird. Drei Jahre später endet die Rahmenhandlung.
Die Titelheldin des Romans, Marthas Wetzlaffs, die 1945 auf der Flucht mit ihrer Tochter Hedi gen Westen mit der Wilhelm Gunsloff scheinbar verschollen ging, wurde 1900 in einen liberalen Künstlerhaushalt in Türnow hineingeboren. Ein enger Freund der Familie, der Pianist Wolfgang erkennt ihre Sonderbegabung, sie nimmt Musik in den geometrischen Grundformen wahr, und ermuntert sie sich in Weimar am Bauhaus zu bewerben, wo sie sich vor allem dem Ausdruckstanz widmet. Die Ähnlichkeit der Formensprache zwischen Martha und Walter Gropius, als auch die angedeutete familiäre Verbindung zwischen Walter und Wolfgang lässt der Autor leider ins Leere laufen. Vor dem Umzug des Bauhauses nach Dessau verlässt Martha mit einem Neugeborenen & dem mit Zeichnungen ihrer Kollegen verzierten Tagebuch Weimar, eröffnet in ihrer Heimatstatt mit Unterstützung ihrer Familie ein Tanzstudio & lebt dort bis kurz vor Kriegsende.
Das Aufeinandertreffen Thomas Wetzlaffs mit der Käuferin des Tagebuchs in deren Hotelsuite am Fuße der Twin Tower, das er am Morgen des 11.September gen Flughafen verlässt, schließt die Informationslücke zwischen Marthas Verschwinden 45 und Hedis Tod 2000.
All das wird in zehn Kapiteln erzählt, die mit den Handlungsorten & -zeiträumen betitelt sind, den Weimarer Kapiteln wurden, warum auch immer, zusätzlich noch Kreis, Dreieck & Quadrat vorangestellt. Saller vernimmt sich in seinem Roman die Freiheit fiktive mit historischen Personen zu vermischen, wie z.B. Gropius, die Fotografin Ella Heldt & der völkisch-antisemitischen Kulturpolitiker Adolf Bartels, die aber leider alle nur nur Staffage sind.
Meine Kritik nun betrifft Ton & Inhalt. Einerseits die Ich-Erzählerstimme des Urenkels, dessen Stinknormalo-Attitude, die er wie eine Monstranz vor sich herträgt, mich schon auf Seite Eins fragen ließ, ob der Autor das vielleicht ironisch meint. Andererseits Martha, der weibliche Forest Gump Pommerns, deren Leben der Autor operettenhaft überkonstruiert, mit dekorativen Ausschweifungen, an der Möglicherweise Marie Antoinette ihre Freude gehabt hätte. Die für meinen literarischen Geschmack aber zu viel Rokoko & zu wenig Bauhaus war.
Tom Saller: Wenn Martha tanzt. Ullstein Buchverlage. erschienen März 2018 https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/wenn-martha-tanzt-9783471351673.html