Reden ist Silber, Schweigen ist..

nicht immer Gold! Nicht, wenn es als interfamiliäres Kommunikationsmittel genutzt wird.

Und doch ist für viele Familien damals wie heute non-verbal vereinbartes Stillschweigen die Normalität. Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass miteinander Sprechen Schmerzen lindert, sich Knoten aufdröseln lassen & Familien daran gesunden könnten, wird von vielen ignoriert. Und es sind nicht nur die Männer, die echte Kommunikation verweigern, sondern auch die Frauen, die vielen Mütter, Großmütter, Schwestern, Tanten & Enkelinnen, die irgendwann einmal, meist schon als kleine Mädchen gelernt haben, dass ihre Bedenken, ihre Einwände ihre Nachfragen einfach weggewischt werden.

So sprachlos zeichnet Franziska Hausers auch die vier Generationen der Familie Hirsch, die die Leser in Die Gewitterschwimmerin vom 19. Jahrhundert bis ins Jahr 2011 begleitet. Jene Hirsch-Frau, Tamara, ist die kühle Chronistin, die in Vor- und Rückblenden, die Geschichte ihrer Familie als Opfer & Täter zweier totalitärer Regimes, Nazi-Deutschland & der DDR, dokumentiert. Sie hat erlebt, wie das Schweigen über das Grauen von Generation zu Generation neue Täter hervorbringt, was nur möglich ist, weil die Frauen weiter schweigen, loyal zu ihren Männern stehen. Alte deutsche Geschichte. Ihnen ihre Töchter zum Fraß vorwerfen. Menschenopfer, Jungfrau, dargeboten, um den Drachen zu besänftigen. In den Momenten, wenn der Schmerz darüber an die Oberfläche dringt, ändert sich auch die Erzählstimme, läßt Wut & Schmerz zu. Als ihre ihr so verhasste Mutter stirbt & sie Tränenfluten vergießt, spürt sie, dass das nicht die Trauer um ihre Mutter ist, sondern die Trauer um die Mutter-Tochter- Beziehung, die sie nie hatte. Tamara erkennt sich als Überlebende, begreift, dass ihr Freiheitsdrang, keine wahre Freiheit ist, weil es nicht ihr freier Wille ist, sondern nur Flucht, auch vor ihren eigenen Töchtern.

Warum bin ich geworden, wie meine Mutter?, eine Frage, die wenn eine Tochter sie stellt, gewöhnlich meint: „Warum bin ich geworden, wie ich nicht werden wollte?“ , die Frage, mit der Tamara ihre Familiengeschichte beginnt. Die pubertäre Wunsch als Kind vertauscht worden zu sein, sich eine andere, bessere Familie herbei zu phantasieren, kennen viele, viele Frauen geben ihn aber als Erwachsene nicht auf.

Und doch lese ich diesen Roman nicht als Anklageschrift, versucht die Protagonistin doch die Motive der Täter zu verstehen, wobei ich nicht denke, dass erlittene Schuld gegen begangene Schuld aufgerechnet werden kann. Ich glaube auch nicht, dass das Erkennen der Motive reicht. Ich bin da vielleicht etwas pessimistischer, wenn es um Heilungsprognosen solch pathologischer Familiensysteme geht, aber auf jeden Fall gehört Die Gewitterschwimmerin zu meinen Lieblingen auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2018, weil es seine Leser zum Nachdenken & im besten Fall zum Sprechen bringt.


Franziska Hauser: Die Gewitterschwimmerin. Eichborn/Bastei Lübbe. 2018.

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