das hat schon Mr. Postman postuliert, aber der gab damals noch dem Fernsehen die Schuld daran.
Was hätte der wohl zu Claudia Klingenschmids vor Kurzem im Piper Verlag erschienen Debutroman über den wahren Schuldigen dieses auch heute noch verbreitetem Phänomens, einen klitzekleinen Einzeller namens Taxoplasma gondii, kurz ToGo, gesagt?
ToGo, der Erreger der Toxoplasmose, wird jetzt wahrscheinlich nur den Katzenliebhabern und/oder Schwangeren unter den Lesern etwas sagen, deshalb erst einmal etwas Biologienachhilfe durch die Apotheker Umschau (https://www.apotheken-umschau.de/Toxoplasmose)
… ist ein Parasit, der sich in Zellen von Mensch oder Tier vermehren kann. Gesunde bemerken eine Toxoplasmose-Infektion meistens gar nicht. Etwa 50 Prozent aller Deutschen haben sich bereits irgendwann infiziert, die Wahrscheinlichkeit steigt mit dem Lebensalter. Der Körper bildet Abwehrstoffe gegen den Erreger, er ist dann normalerweise lebenslang immun gegen die Krankheit. Allerdings bleibt der Parasit oft dauerhaft im Organismus. Mediziner sprechen deshalb von einer latent persistierenden, also „versteckt fortbestehenden“ Infektion…
Angst & Schrecken würde sich verbreiten, wenn die LeserInnen der Apotheker Umschau wüssten, dass die neuere Forschung davon ausgeht, dass der im Roman so charmant aus dem Nähkästchen seines immerhin bis ins Jahre 1159 zurückreichenden Seins plaudernde Ich-Erzähler mitnichten ein so untätiger Geselle ist, sondern er das menschliche Nervensystem verändert und in das Verhalten seiner Wirte eingreift, ganz so wie es ihm gefällt.
Denn es gilt: ToGoes mögen das Leben eher laut als leise. Ein Leben mit ihnen ist so voll von Sex, Drugs & Rock’n Roll, das sie die Viten der Musiker der Hall of Fame in Cleveland wie die eines Nonnenchores aussehen lassen. Sie sind gesegnet mit dem Vermögen die größten Bedenkenträger unter den menschlichen oder tierischen Wirten in kürzester Zeit in Bungee-jumpende, Russisch Roulette spielende DraufgängerInnen zu verwandeln. Das könnte man sogar mit Fug & Recht als ihr Alleinstellungsmerkmal bezeichnen.
Eines, das diesen Instagram tauglichen „pretty exciting lifestyle“ befördert: heute Wave-boarding auf Hawaii, gestern Gang-Bang auf’m Bergheim Klo & morgen House-running in Kuala Lumpur. Versteht sich, dass seine Gastgeber nicht darum wissen, dass sie nur die lebensmüden Marionetten eines spaßbeseelten Kerlchens sind. Ist es also sein stetig durch unsere Nervenbahnen tröpfelndes, vernunftbefreites „Just have fun!“, das die Spaßgesellschaft wirklich in den Abgrund treibt?
Scheint fast so, als wäre der Autorin mit diesem wispernden Teufel sogar die verbesserte, weil effizientere, Version des Shelley Klassikers Dr. Frankenstein gelungen. Ein Größenwahnsinniger, der sich seine Spielzeuge nicht erst mühsam zusammenbauen muss, sondern sie wie ein Mietnomade einfach nur zu Tode besiedelt.
Und obwohl wir Klingenschmids ToGo in einer parasitären Sinnkrise kennenlernen, denn irgendwann, vielleicht nach 800 Jahren, ist auch die geilste Party nur noch eine schnöde Abfolge immer gleicher Rituale. Sogar ein eigentlich lebensfroher Parasit fragt sich zuweilen: Soll das etwa ewig so weiter gehen oder kommt da noch was? Denn auch er weiß: ein Kick ist immer nur der Kick für den Augenblick.
Seine Aufzeichnungen beweisen, er ist beseelt von der „Neue-Deutsche-Welle“-Maxime: Ich will Spaß! Ob im Körper einer einsamen Wiener Rentnerin, deren zaghaften amourösen Annäherungsversuche bei ihrem Nachbarn er untergräbt, ob im Reptilienleib eines giftspritzenden Schlangenmannes mit eigenem moralischem Kompass, ob unter dem Gefieder eines gebeutelten Täuberichs mit wochenbettaggressiver Angetrauter im nicht nur touristisch überfüllten Venedig oder in einem hypersexualisierten Cowboy, der sich unter ToGos Inbesitznahme bei glühender Hintze in der Wüste Arizonas zum Palmewedeln hinter den nächstbesten Kaktus stellt.
To-Go ist ein Weltenbummler, ein Bonvivant, ein selbstverliebter Tunichtgut, ein Lebemann (aber einer, der schon immer fluide genug war, um auch in einer Lebefrau zu überleben), ein beneidenswerter Überlebenskünstler. Ein wahrer, ein tragischer Held, der nach einem literarischem Denkmal schreit. Mich würde es nicht wundern, hätte er nicht einen Weg gefunden, sich die dafür richtige, eine schreibende, Wirtin auszusuchen, um seine Eitelkeit durch einen höchst amüsanten Roman über das Leben eines besonders gewieften Parasiten verwirklicht zu sehen.
Und amüsant war er wirklich, aber auch stilistisch hat mir Parasit To-Go gefallen. Die einzelnen Geschichten nehmen jeweils den erzählerischen Staffelstab ihres Vorgängers auf, dazu der oft selbstironische Ton, die ungewöhnlichen, einprägsamen Metaphern, aber auch die meditative, melancholische Stimmung am Ende des Buches, die mich an Interview mit einem Vampir erinnerten.
Ich für meinen Teil habe To-Go in mein Herz geschlossen, auch wenn ich weiß, dass er mich umbringt.
Claudia Klingenschmid: Parasit to-go. Piper Verlag. 2019
Ich danke dem Piper Verlag für das Rezensionsexemplars