Als die Autorin das Feuer für ihren Plot verlor

Stephanie von Hayek thematisiert in ihrem Debutroman Als die Tage ihr Licht verloren, eines der schwärzesten Kapitel deutscher Geschichte, die systematische, akribisch geplante, unter strengster Geheimhaltung vollzogene Ermordung von mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen. Die organisierte Vernichtung „lebensunwertem Lebens“ oder auch „NS-Krankenmorde“ waren direkt von Hitler angeordnet & zur Zeit der Nationalsozialisten unter der euphemistischen Bezeichnung „Aktion Gnadentod“ oder auch Euthanasie (griech. für der schöne Tod, womit ein sanftes Hinübergleiten, ohne vorherige Krankheit gemeint war) bekannt. Nach 1945 wurden sie als Aktion T4 bezeichnet, die Abkürzung der Adresse der Zentraldienststelle, die sich in einer Villa in der Tiergartenstraße 4 in Berlin Mitte befand. (Quelle: Wikipedia)

Von Hayek verbindet dieses gut recherchierte Gräuel mit der fiktiven Geschichte zweier Schwestern, der sensiblen & künstlerisch begabten Linda & der bodenständigeren, angehenden Juristin Gitte Hoffmann aus Berlin. Die jungen Frauen sind wohlbehütete Töchter einer bürgerlichen, liberalen Familie, die ihr Großstadtleben mit Freunden beim Tanz, in Cafés & im Kino genießen. Die es gewohnt sind im Elternhaus offen zu diskutieren, deren Großvater, ein erfolgreicher Tuchhändler, der die Enkelinnen verwöhnt & früh vor den heraufziehenden politischen Gefahren warnt & einer emanzipierten, modernen Tante, einer Psychologin, die sie anhält Dinge stets zu hinterfragen. Sie führen ein freies Leben in einer so anderen Welt, als die die Partei für Deutschland will, die sich in den 30er Jahren gerade anschickt das Land zu übernehmen. Zu dieser Welt gehört schon bald ihre Schulfreundin aus Kindertagen, Lene, Tochter einer trinkenden & schlagenden Mutter, die um diesem Elend zu entkommen, den geltungssüchtigen Arnold geheiratet hat. Beide Kleinbürger, sie mit der Hoffnung auf äußeren Glanz, er mit großen beruflichen Ambitionen, ohne große Anstrengungen, dem die neuen Kräfte genau das versprechen, das von dem er schon immer überzeugt war, es stünde ihm zu.

Eine der Schwestern, Linda, heiratet im Verlauf der Geschichte die Liebe ihres Lebens, Erich Kupfer, einen begabten, jungen Schuhmacher mit einem erfolgreichen Ladengeschäft, in dem er seine selbst entworfenen, gerne auch dekadente, Schuhmodelle verkauft & in dem Linda ihre eigene Abendtäschchenkollektion anbietet. Gemeinsam sind sie erfolgreich & glücklich; bis Erich eingezogen wird. Als Linda keine Nachrichten von der Front mehr erreichen, wird ihre Trauer grenzenlos. Sie ist untröstlich, so sehr sich ihre Familie bemüht. Sie isst kaum noch, verfällt in eine Depression & das ist zur Zeit des Gnadentodes in Deutschland lebensgefährlich für sie.

So viel zum Plot.

Meiner Meinung nach krankt dieser Erstling, daran dass man ihnen anmerkt, dass der Autor für (s)ein historisches Thema brennt. Was natürlich erst einmal grandios ist! Er oder sie hat schließlich Zeit, Schweiß & Tränen für die Rechercher investiert, um dann einen Plot zu konstruieren, der leider oft nur noch als ziemlich durchscheinendes Bühnenbild für sein historisches Anliegen dient. Als wäre für die Geschichte nicht mehr genug Feuer, Liebe oder Interesse übrig gewesen, wirkt sie leider etwas stiefmütterlich behandelt.

Nur vereint ein überdurchschnittlicher historischer Roman dummerweise beides: akribische Recherche & eine gute Story. Will der Autor mich persönlich glücklich machen, dann vereint sich das noch mit einem besonderen sprachliches Vermögen, das den richtigen Ton für Zeit & Ort trifft.

Sprachlich merkt man diesem Roman an, dass seine Verfasserin weiß, Worte professionell zu nutzen. Auch der geschichtliche Hintergrund ist sicherlich gut recherchiert. Die Geschichte & ihre Figuren selbst finde ich dagegen zu schwach, zu blutleer als dienten sie lediglich dazu, dem wichtigen Thema einen Rahmen zu geben. Das Schicksal der Romanfiguren hat mich emotional nicht erreicht, was bei diesem Thema entweder für ein ziemlich steiniges Herz oder gegen den Roman spricht.

Ich persönlich bevorzuge in einem solchen Fall Fachliteratur. Wobei ich natürlich weiß, dass das nicht jedem so geht & andere Leser diesen Roman vielleicht als weniger nüchternen Einstieg ins Thema bevorzugen werden.

Stephanie von Hayek: Als die Tage ihr Licht verloren. Piper Verlag. 2019

Ich danke dem Piper Verlag für das Rezensionsexemplar.

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